Ich denke, daß sich die nationale und internationale Technokratie
nicht wirksam bekämpfen läßt, solange man sich ihr nicht
auf dem von ihr vorgezogenen Terrain entgegenstellt, dem der Wissenschaft,
besonders dem der Ökonomie. Um dem abstrakten und verstümmelten
Wissen zu entgegnen, dessen sich die Technokraten rühmen, wird ein Wissen
benötigt, daß die Menschen und die Realitäten, denen sie ausgesetzt
sind, mehr respektiert.
aus einer Rede von Pierre Bourdieu, Paris, Gare de Lyon, 1995/12/12
(Quelle: Libération et L'Humanité 1995/12/14)
Dank Rechtschreibreform dürfen kommende Generationen nun verzweifelt rätseln, was "Lo|ga|rith|mus" bedeuten könnte. "Log|arith|men" sind dagegen Zahlen, die im frühen 17. Jahrhundert als Hilfsmittel für die Zinseszinsrechnung mühsam errechnet und tabelliert wurden. Diese Verhältnis-Zahlen (Log-Arithmen) dienten als Zwischenwerte zur Vereinfachungung der Potenzrechnung: Das in der Zinseszinsrechnung notwendige Potenzieren ("Hochnehmen") des Zinsfaktors wurde durch die einfacher zu handhabende Multiplikation ("Malnehmen") eines transformierten (logarithmierten) Zinsfaktors ersetzt. Und Multiplikationen von Zahlen können durch Addition derer Logarithmen bewältigt werden. Das Ergebnis der Berechnungen mit Logarithmen wurde dann mit einer anderen Tabelle (Antilogarithmentafel bzw. Potenztafel) rücktransformiert.
Beispiel: In einer Logarithmentafel findet man für einen gegebenen Monatszins (z.B. 0,7%, d.h. Zinsfaktor 1,007) den Logarithmus (z.B. 0,003029) des Zinsfaktors. Will man nun den Jahreszinseszins errechnen, dann multipliziert man den zum Monatszins gehörigen Logarithmus mit 12 und sucht das Produkt (z.B. 0,036354) in einer Antilogarithmentafel (bzw. Potenzentafel). Aus dem diesem Produkt zugeordnete Zinsfaktor (z.B. 1,087311) ergibt sich der Jahreszinseszins (z.B. 8,73%). So wurde expotentielles Wachstum früh selbstverständlich - in einer von Menschen vergleichsweise dünn besiedelten Welt mit vielen unerschlossenen Ressourcen und folglich noch ohne deutlich spürbare Wachstumsgrenzen.
Stellen Sie sich den Logarithmus als ein Zauberkästchen vor, in das Sie eine (positive!) Zahl x hineintun und das dann eine neue Zahl y ausspuckt. Diese neue Ausgangs-Zahl y ist proportional zur Länge (zur Anzahl der Stellen) der Eingangs-Zahl x. (Als Bezugspunkt hat 1 die Länge Null. Zahlen zwischen 0 und 1 haben eine negative Läge. Zahlen über 1 haben eine positive Läge.) Interessant ist der Vergleich von Logarithmus und Division:
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Um den Logarithmus zu berechnen, nehmen Sie einen wissenschaftlichen Taschenrechner. Ich möchte hier nicht weiter ausführen, warum ich bei meinen Berechnungen den natürlichen Logarithmus y=ln(x) nehme. Das ist ein Logarithmus zur Basis e, wobei e ungefähr 2,7183 ist (das ist exp(1) auf Ihrem Taschenrechner). Diese Zahl taucht in der Natur in vielen Vorgängen auf, in denen z.B. die Änderungsgeschwindigkeit einer Größe proportional zur Höhe dieser Größe ist.
Den natürlichen Logarithmus können Sie einfach in andere Logarithmen umrechnen. Für Berechnung der Länge (der Stellenzahl) von Zahlen im Zehnersystem nehmen Sie den dekadischen Logarithmus lg(x) (oder log(x) auf vielen Taschenrechnern). Hier ist ein Überblick über drei Logarithmen (Die in ISO/IEC DIS 2382-16 verwendeten Logarithmenkürzel sind fett gedruckt):
Im Grunde brauchen Sie also nur den natürlichen Logarithmus. Ihr Taschenrechner kennt auch nur diesen Logarithmus und multipliziert ihn einfach mit entsprechenden konstanten Faktor, um Logarithmen mit anderen Basen zu ermitteln.
Überhaupt nicht einfach war die Berechnung der Logarithmen (Mirifici logarithmorum canonis descriptio, 1614) für John Neper (1550-1617). Was heute ein simpler programmierbarer Taschenrechner kann, war damals mehr als nur ein Lebenswerk: Henry Briggs (1556-1630), ein Schüler und dann Partner von Neper, erweiterte (Arithmetica logarithmica, 1624) Nepers Tafeln, benutzte aber den dekadischen Logarithmus (Basis 10) anstelle des von Neper bevorzugten natürlichen Logarithmus (Basis e). Vervollständigt wurden die Tabellen erst im Jahr 1627 von Ezechiel de Decker and Adrian Vlacq.
Noch heute ist "Neper" eine Pseudo-Einheit für logarithmische Verhältnisse. Wenn man sich an den Ursprung dieser Einheit erinnert, also an die Zinseszinsrechnung, dann liegt es eigentlich nahe, diese Pseudo-Einheit auch in den Wirtschaftswissenschaften zu verwenden - anstelle uns mit neuen Einheiten wie "nat" oder "nit" (ein natürliches "bit") zu verwirren.
Hier noch ein Gedanke zur Bedeutung des Logarithmus: Wenn der Aufwand für physischen Resourcentransfer E ist, dann ist der Aufwand für die damit verbundenen Geldtransfers etwa proportional zu ln(E). Hierin lag übrigens meiner Ansicht nach ein wirklicher Paradigmenwechsel beim Übergang vom Warentausch zum Geldtausch: Geld ist nicht Wert selbst, sondern es ist nur eine Information über den Anteil seines Besitzers an Wert. (Hierin liegt auch eine Erklärung, warum mit proportionalen Gebühren bezahlter Geldtransfer für den "Transporteur" um so profitabler ist, desto mehr Geld er "transportieren" darf.) Der Schritt zur Informationsgesellschaft wurde so schon vor einigen tausend Jahren getan. Elektronische bargeldlose Geldtransfers bringen den mit diesem Informationstransfer verbundenen Energietransfer auf ein Minimum. Der Aufwand für die Verteilung von Geld wird zunehmend nur noch vom Logarithmus des zu bewegenden Geldbetrages bestimmt. [zurück]
Schuld an der Unordnung ist die Temperatur bzw. der Anteil an "unordentlicher" Energie im System, dessen Ausdruck die Temperatur ist. Dieser Energieteil ist deshalb unordentlich, weil er zu jedem Zeitpunkt nach Lust und Laune in irgendeine unbekannte Richtung wirkt. Wieviel Unordnung die Temperatur anrichtet, wird durch den aktuellen Ordnungsverlustfaktor des Systems bestimmt, also durch die zu einer gegebenen Zeit vorhandene Entropie. Dazu wird die Temperatur mit der momentanen Entropie (dem Ordnungsverlustfaktor) multipliziert, und schon kennt man die momentane Verlustenergie. Diese im System gebundene Energie wird von der Gesamtenergie des Systems abgezogen. Übrig bleibt die freie, also nicht in Unordnung gebundene Energie. Je höher die Entropie eines Systems ist, desto mehr leidet es unter hoher Temparatur. If you can't take the heat, stay out of the kitchen.
Negative Entropie wird auch Negentropie genannt oder Syntropie. Gibt es negative Entropie? Es gibt sie, wenn man "Export von Entropie" als "Import von Negentropie" darstellen will. "Eine aussagekräftige Interpretation der Negentropie ist, daß sie die Komplexität körperlicher
Strukturen mißt, in die Energiemengen investiert wurden, z.B. Gebäude, technische Geräte, Organismen
aber auch Brennstoff für Atomreaktoren und die Infrastruktur der Gesellschaft. In diesem Sinn kann gesagt werden,
daß Organismen nicht durch Energieaufnahme komplexer werden, sondern durch Aufnahme von Redundanz." (Schrödinger,
zitiert von Krippendorff) Negentropie ist ein Ordnungsgewinnfaktor. Es gibt sie, weil auch innerhalb isolierter Systeme die Entropie lokal durchaus kleiner werden kann. Aber eine wundersame Rettung bringt uns Syntropie trotzdem nicht: Es ist die Summe aller Entropien in einem solchen System, die selbst durch darin wirkende schöpferische Subsysteme (z.B. Menschen) nicht gesenkt werden kann. Jede Entropiesenkung an einem Ort wird durch eine mindestens ebenfalls so große Entropiesteigerung an einem anderen Ort bezahlt. Das nicht zu wissen, hilft beim positiven Denken.
H.-P. Dürr (1998/06): "In dreieinhalb Milliarden Jahren hat sich auf unserer Erdoberfläche - angefangen bei wenigen einfachen organischen Verbindungen bis hin zum Menschen -
eine Evolution genau im Gegentrend des Gewohnten vollzogen. Die ordnende Hand spielte dabei die Sonne. Die Energie selbst ist dabei nicht wichtig. Die
eingestrahlte Sonnenenergie wird wieder in den Weltenraum als Wärme-Energie zurückgestrahlt. Es bleibt von dieser Energie insgesamt (fast) nichts
hängen, sonst würden wir allmählich alle kochen. Die Sonnenenergie, die eingestrahlt wird, ist aber höher geordnet als die rote Wärmestrahlung, die in den
Weltenraum zurückgeht. Diese Ordnungsdifferenz (Syntropie oder Negentropie) ist die treibende Kraft der Evolution. Sie treibt das ganze biologische
System, entgegen dem normalen Trend zu größerer Unordnung, zu immer differenzierteren Strukturen hinauf...
... Wir glauben immer noch, daß die Umwelt nur
dazu da sei, um aus ihr Ressourcen herauszuschlagen und Müll
in sie hineinzukippen. Die Sonne hat diese Aktivitäten bisher
einigermaßen im Gleichgewicht gehalten. Aber durch Ausgraben
der fossilen Energieträger pumpen wir nun zusätzlich
und in hohem Grade diese gespeicherte Sonnenenergie in unser System
hinein. In einem Strohfeuer verbrauchen wir in zwei Jahrhunderten,
was in Millionen von Jahrhunderten an Sonnenenergie angesammelt
wurde. Wie Bankräuber investieren wir in immer bessere Schweißgeräte,
mit denen wir einen Naturtresor nach dem andern ausrauben und
meinen: Das ist Wertschöpfung."
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Redundanz als Voraussetzung für Leben erklärt, warum ein seine Lebensgrundlagen sicherndes Leben auch eine Ursache für Redundanz ist. Wir sind getrieben, Überfluss zu schaffen. Fallen die sich diesem Ziel entgegenstellenden Hindernisse weg, dann bremst uns nichts, noch mehr Überfluss zu schaffen - genauer: über lange Zeiträume akkumulierten Überfluss im Nullkommanix wegzuschaffen. So enthemmt, treibt unser Lebendrang die merkwürdigsten Blüten, solange das geht.
Wir ahnen nicht nur irgendwo, dass Redundanz "nicht von selbst" entsteht, sondern wir sind kräftig darauf ausgerichtet, sie gegen die Widrigkeiten der Natur (Hagel, Feuer, lästige Bedenkenträger, Wölfe, Steuerfahnder, Kampfhunde, Kampfhundegegner, Modernisierungsverweigerer usw.) erkämpfen zu müssen. Dass Redundanz von selbst entsteht, glauben wir nicht. Wir bewältigen das mit Magie, mit Gebeten, dem Lauf über Glasscherben - und gelegentlich sogar mit zielorientiertem Vorgehen. Wo das nicht funktioniert, hilft uns so mancher Witz über die Runden: Rickeracke! Rickeracke!, aber der Lebenswille der Helden siegt über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (wenn auch, wie jede anständige Fluktuation, nur für ein kurzes Weilchen - vor dem Ende in der Ente). Der Kern von Entropiewitzen ist das unerwartete Auftreten von Redundanz, also das "unwahrscheinliche" Ansteigen der Negentropie. Weil wir mindestens ahnen, was Entropie sein könnte, können uns auch Explosionen in rückwärts laufende Filme belustigen. Wenn Entropie besser verstanden würde, würde aus der Ahnung Wissen. Unser Lachen kämpfte dann nicht mehr gegen unbekannten Gesetze, sondern nur noch gegen die Angst vor den Konsequenzen dieser Gesetze. Wo wir im Alltag mit Zerfall rechnen, finden wir im Witz "unmögliche" Strukturbildung. Entropiewitze verlachen den Tod.
Überfluss hält uns am Leben. Darum halten wir Überfluss nicht für überflüssig und verlangen Wachstum ohne Grenzen. Mit immer mehr und mehr Redundanz wollen wir die Distanz zwischen uns und dem Tod vergrößern. Wir suchen aber auch nach Möglichkeiten, Überfluss zu bekämpfen. Ob Überfluss "gut" oder "schlecht" ist, wird nämlich schlicht davon bestimmt, ob es meiner oder Deiner ist. Redundanz wird mit Überfluß assoziiert, aber das Individuum betreibt natürlich die Maximierung seiner eigenen Redundanz. Erst bei Anderen wird sie als legitim ausbeutbarer Überfluß angesehen, von mir selbst für mich selbst dagegen als Erweiterung meines Freiraums erstrebt. Wo alles möglich ist, sind zum Beispiel die Freizeit, die Gesundheit und das Vermögen Anderer von mir beanspruchte Redundanz. Die Freizeit des Anderen ist für mich die Faulheit das Anderen, die mich selbst am Faulenzen hindert.
Unter Gesichtspunkt der Nutzung von Redundanz von Mitarbeitern sind neben Entlohnungsmodellen auch die in der Wirtschaft erstrebten "flexiblen" Arbeitszeitregelungen (Stichwort: "Work without boundaries", Stockholm University) zu betrachten. Da Redundanz aber Voraussetzung für Freiheit ist, und selbstbestimmte Entscheidungsfreiheitheit den Unterschied zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer ausmacht (auch aus Sicht der Rechtssprechung), widerspricht der intensivierte Zugriff auf die Redundanz von Mitarbeitern dem Anspruch, sie zu Unternehmern zu machen.
Für die Informationstheorie ist der Zusammenhang von Entropie, Negentropie und Redundanz in ISO/IEC DIS 2382-16 definiert. [zurück]
In der Entropiedomäne finden wir übrigens häufig Ausdrücke, die N×ln(N) oder ähnliche Elemente enthalten. Dieser Ausdruck kann zusammen mit anderen Funktionen von N auftreten, die aber bei sehr großen N gegenüber N×ln(N) verschwindend klein werden können, z.B. wenn er der am stärksten wachsende ist und wenn N sehr groß wird. In der Praxis passiert das z.B., wenn wir die Größe von "Umwandlungs-Maschinen" berechnen wollen, die Datensätze mit N Daten aus einer Domäne (z.B. Zeit) in Datensätze für eine andere Domäne (z.B. Frequenz) umwandeln.
Aus logistischer Sicht wächst das Gewicht einer Gruppe mit N gleichwertigen Mitgliedern nicht nur proportional mit der Mächtigkeit der Gruppe, also mit der Anzahl N ihrer Mitglieder. Sondern mit der steigenden Anzahl der Mitglieder steigt zusätzlich auch noch der Aufwand, der zur Adressierung dieser Mitglieder nötig ist. Dieser zusätzliche Aufwand ist proportional zu ln(N). Mächtigkeit und Adressierungsaufwand werden dann zusammen mit N×ln(N) repräsentiert. Eine allgemeinerer Ansatz wäre z.B. a×N+b×ln(N)+c×N×ln(N)+d. Mit a=-1, b=0.5, c=1 und d=0.5×ln(2×p) wird der Ausdruck zu einer guten Näherung für ln(N!). Das ist die Stirling-Formel. [zurück]
Die Kleinsten Sag Atome, sage Stäubchen.
Haben sie auch keine Köpfchen,
Suche nur sie zu bezwingen,
Kannst du auch aus ihnen schmieden
Wilhelm Busch, 1904 |
Natürlich wehren sich Soziologen dagegen, wenn Menschen mit umhergeschubsten Teilchen gleichgesetzt werden. Bourdieu hat recht, wenn er sich gegen den Mißbrauch der Thermodynamik als Lieferant von Metaphern wehrt. Mit der Anwendung entropiebasierter Ungleichheitsmaße erfolgt jedoch keine Gleichsetzung, sondern ein Vergleich. Die Anwendung der Entropie auf soziale Systeme kann so gerade die Unterschiede zwischen Teilchen und Menschen, statistischer Mechanik und sozialem Verhalten deutlich machen.
Andererseits gilt jedoch, so willenbehaftet der Mensch auch sein mag, daß wir alle physikalischen Gesetzen unterworfen sind. Leo Szilard (1929): "Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt auch für abgeschlossene Systeme, die intelligente Wesen enthalten." (Unter Einbezug der Regeln für offene Systeme gilt der Satz auch für offene Systeme.) Die soziale Welt darf zwar nicht mit physikalischen Metaphern verfälscht und banalisiert werden, aber sie entstand und entsteht aus dem Leben der Menschen in einer von physikalischen Regeln bestimmten Welt, die die Möglichkeiten sozialen Handelns begrenzt.
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Die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln der Menschen einerseits und die Existenz fremdbestimmter Ungleichverteilung der Herrschaft über Resourcen andererseits sind Tatsachen, die die Grenzen von "Freiheit und Freiwilligkeit" bestimmen. Der Mensch kann seinen Geburtsort, sein Elternhaus, sein Geschlecht, sein Startkapital, seine Kaste usw. nicht selbst bestimmen. (Dem entgegenstehende religiöse Dogmen dikutiere ich hier nicht. Sie schaffen keine Begründungen, sondern sie werden für Begründungen geschaffen.) Das Leben beginnt also schon mit Ungleichheit. Schon bei der "Wahl" des Zeitpunktes und der Ortes der Geburt gibt es Gewinner und Verlierer. Daraus resultiert sowohl der Kampf selbst wie auch seine Legitimation. Je ungleicher die Startchancen, desto berechtigter fühlen sich die Beteiligten, ihn mit tödlichen Waffen zu führen. Diesen Kampf in Grenzen zu halten ist eine Zivilisationsleistung. Aber "die gegenwärtigen und künftigen Leistungen des kapitalistischen Systems [sind dergestalt], daß ... gerade sein Erfolg die sozialen Einrichtungen, die es schützt, untergräbt." (J.A.Schumpeter, 1942).
Krasse Fremdbestimmtheit (durch natürlichen Zufall und menschliche Willkür) einzelner Benachteiligter mit den Mitteln sozialen Einrichtungen zu dämpfen, ist eine Gemeinschaftsleistung, die allerdings auf alle weniger Benachteiligten wiederum fremdbestimmend wirkt. Sie müssen Kosten tragen, z.B. sogenannte "Lohnnebenkosten". Die Menschen können aber durch die Wahl eines geeigneten Arbeitspunktes zwischen rein zufälliger und streng geplanter Fremdbestimmung den Raum für individuelle Selbstbestimmung optimieren. Demokratien sind hier nachweislich am erfolgreichsten. Sie schützen sowohl vor dem Verlust des eigenen Besitzes wie auch vor der übermäßigen Beeinträchtigung des eigenen Lebens durch den Besitz Anderer.
Leben und Wachstum von Organismen (Menschen, Gesellschaften, Unternehmen usw.) ist prinzipiell nicht ohne Entropieexport (also ohne Belastung der Umgebung des lebenden und wachsenden Organismus) möglich. Entsprechend kann auch Kapital nur unter Entropieabgabe wachsen. Das wirkt fremdbestimmend auf die Umwelt, in der es wächst. Darum steht wachsender Besitz nicht nur in Beziehung mit dem Besitzer, sondern auch in Beziehung mit der Umgebung des Besitzes, die dann als Entropiesenke genutzt wird. Die Notwendigkeit einer Entropiesenke außerhalb des Organismus (z.B. des eigenen Unternehmens) begründet den Grundkonflikt zwischen lebendem Individuum und Umwelt. Auch diese Art der Fremdbestimmung zu verschleiern ist ein Mittel zur Erhaltung und zum Ausbau von Macht, von Fremdbestimmung, von tatsächlicher Gewalt über die Umwelt.
Ausschließliche Sache des Besitzers ist nur jener Besitz, der in keinerlei Wechselwirkung mit seiner Umwelt steht. Daß Wachstum und Entropieexport (Negentropieimport) untrennbar miteinander verbunden sind (Schrödinger, Wolkenstein), liefert gewissermaßen die thermodynamische Grundlage der Artikel 14 und 20a unseres Grundgesetzes. Eigentum ist sowohl mit Rechten wie auch mit Pflichten verknüpft. Wer für sein Eigentum und sein Kapital (welcher Art auch immer) Wachstum erzielt, bedient sich dafür immer seiner Umwelt. Des Einen Selbstbestimmung ist der Anderen Fremdbestimmung. Wer sich auf die Negentropienachfuhr in das offene System Erde beruft, muß sie kennen. Aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ergibt sich, daß es Win-Win nicht gibt, sondern bestenfalls Win-Win-Lose: Wenn zwei Seiten gewinnen, dann verliert eben die dritte Seite. Diese dritte Seite und ihre Möglichkeiten zur Negentropienachfuhr nicht kennen zu wollen, mag das Geheimnis manches mit dem Negentropieverlust Dritter ereichten Geschäftserfolges sein. Jedes Geschäft, daß wirklich der einen Seite Gewinn und der anderen Seite einen Mehrwehrt bringt, ist mit Entropieexport an Dritte verbunden. Geschäfte ohne Entropieexport sind eine Dummheit. Sich den damit verbundenen Entropieimport nicht bezahlen zu lassen (z.B. mit Mehrwertsteuern, "Öko"-Steuern usw.) wäre jedoch eine Dummheit der dritten Seite. [zurück]
"Es ist die elementarste ökonomische Tatsache, daß die Art wie die Verfügung über sachlichen Besitz innerhalb einer sich auf dem Markt zum Zweck des Tauschs begegnenden und konkurrierenden Menschenvielfalt verteilt ist, schon für sich allein spezifische Lebensschancen schafft." (Max Weber: Schriften zur Soziologie, 1911-1913) [zurück]
Die Anwendung dieser beiden Kriterien (letzteres von Pareto) ist außerdem wegen der erforderlichen sorgfältigen Auswahl und Gewichtung der in diese Kriterien eingehenden Daten gar nicht so einfach. Insbesondere muß bei absoluter, aber unterschiedlicher Verbesserung der wirtschaftlichen Situation aller einzelnen Marktteilnehmer deren relative Repositionierung im Wettbewerb untereinander bewertet werden.
Die Anwendung des Pareto-Kriteriums ist aber eigentlich sowenig nötig wie das Leugnen der Tatsache, daß mit steigender Macht eines Menschen die Macht der anderen relativ sinkt. Dieser Kampf ist zumutbar, wenn wir weit genug von den Schmerzgrenzen der Ungleichverteilung entfernt bleiben. Dazu (und um die Schmerzgrenzen abstecken zu können) müssen wir die Ungleichverteilung jedoch auch beobachten. Die Verbreitung des Glaubens an "Gewinn ohne Verluste" dient Gewinnern nur dazu, sich opferbereite Verlierer heranzuziehen und zu erhalten.
Sind Gewinner ohne Opfer überhaupt möglich? Das Pareto-Kriterium hilft wenig bei der Beantwortung dieser Frage, denn es ist ohne Entropie-Bilanz nutzlos. Win-Win-Szenarien (bzw. Paretos Win-NoLose-Szenario) entpuppen sich bei genauerem Hinsehen nicht selten als Win-Win-Lose-Szenarien (bzw. Win-NoLose-Lose-Szenarien): Wenn zwei Spieler ohne Verluste interagieren, dann ist eben ein Dritter der Dumme. In abgeschlossenen Systemen nimmt die Summe der Entropien niemals ab, es gibt dort darum immer einen die Entropie absorbierenden Verlierer. Jede Verteilung (die auch immer eine Umverteilung ist) erhöht darin die Entropie. (Die thermodynamische Begründung der Erbsünde ist Gottes Scherz mit allem Lebewesen.) Schnell verweisen wir deswegen auf die Offenheit unseres Systems. Wie sehr das weiterhilft, ist letztendlich ein Frage der Wahl der System- bzw. Verantwortungsgrenzen. [zurück]